Waldmeister-Korn – grüne Schublade
Der Frühling legt die Hand auf den Küchentisch, wenn ein Bund Waldmeister in einem Sieb über dem Spülbecken hängt und langsam sein Grasgrün in ein weiches, fast vanilliges Heu verwandelt.
Die Stiele liegen wie frisch aus dem Wald auf dem Trockentuch, und wer die Nase dicht heranführt, spürt dieses eigentümliche Versprechen: nicht laut, eher wie eine Erinnerung an Kindheitswiesen, die man im Rücken trägt. Draußen treibt der Flieder, und drinnen suchen Hände nach Kordel, Trichter, einem leeren, sauberen Bügelglas. Korn steht bereit – klar, unauffällig, zuverlässig wie ein alter Nachbar, der nicht viel redet und pünktlich Schneeschippen hilft. Der Waldmeister braucht keine Bühne; ein kurzer Auftritt reicht, sonst überzieht er den Raum.
Man merkt rasch: Hier geht es um Maß, nicht um Spektakel. Ein Bündel, nicht der Strauß; Minuten, nicht Tage. Der Duft fängt an, sich zu öffnen, sobald der Strauß ein wenig schlapp macht – das ist der Moment, in dem ein ordentlicher Aufgesetzter anfängt Sinn zu ergeben. Kein besonderes Gerät ist nötig, nur saubere Gläser, ein feines Sieb und Geduld im Kleinen. Ein Stück Zitronenschale hat im Hintergrund seinen Auftritt, kaum sichtbar, nur um den Korn anzuheben.
Die Handgriffe sind ruhig, die Küche atmet, und die Uhr läuft nicht gegen, sondern mit dem Ansatz: Der Geschmack wird nicht gekocht, er wird gelockt. Wer dabei bleibt, alle fünf Minuten nippt und schaut, lernt, dass Ziehzeit wie eine gute Geschichte ist – gekürzt schmeckt sie dünn, gestreckt kippt sie ins Strenge. Wenn der Strauß entfernt ist, bleibt ein Glas, das nicht groß auffallen will und doch eine klare Kante hat.
Eiskalt eingeschenkt, wirkt es wie ein heller Hauch von Frühlingswald, der auf der Zunge kurz leuchtet und wieder verschwindet. Keine Süßigkeitennummer, sondern ein stiller, sauberer Auszug, der nach zwei, drei Wochen Lagerung runder wird und dabei seinen feinen Heuton behält. So ein Korn hat im Keller einen festen Platz zwischen Zwetschge und Haselnuss – man greift danach, wenn jemand von draußen mit kalten Händen hereinkommt oder wenn ein Abend nicht viel mehr braucht als ein kleines Glas, das sagt: Es ist gut so.
Diese Sorte Selbstgemachtes macht keine Show, aber lange Freude – und sie gelingt, weil sie auf Klarheit setzt: frische, unblühende Triebe, kurzer Kontakt, sauberes Arbeiten, rechtzeitig Schluss.
- 700 ml Korn (ca. 38 % vol)
- 12–15 frische Waldmeisterspitzen, unblühend (ca. 15–20 g)
- 1 Streifen unbehandelte Zitronenschale (ca. 6 cm), optional
- 10–20 g Zucker, optional (für mildere Kante)
- 1 sauberes Bügelglas oder Flasche (1 l), feines Sieb, Mulltuch
- Halbtrocken als Likör: 150 g Zucker mit 150 ml Wasser aufkochen, abkühlen lassen und 150–250 ml davon einrühren; so wird’s weicher, ohne parfümiert zu wirken.
- Frische-Kräuter-Mix: 2–3 Zweige Zitronenmelisse kurz mitziehen lassen (max. 5 Minuten) für grünere Zitrusfrische.
- Maibowlen-Ansatz: 300 ml Waldmeister-Korn mit 700 ml trockenem Weißwein und 250 ml sprudelndem Wasser im Krug kalt stellen; erst im Glas mit Erdbeerscheibe frisch machen.
- Vorrat: In 100-ml-Fläschchen abfüllen; kühl und dunkel gelagert 6–8 Monate aromastabil.
Heinz Tipp: Wenn’s nach Medizin riecht, war’s zu lang drin - dann ohne Jammern mit frischem Korn strecken, löffelweise probieren und beim nächsten Mal früher rausziehen.


Kommentare
Kommentar veröffentlichen